Der schwarze Schwan
(Übersetzung des Essays von Paul Graham )
September 2012
Die zwei wichtigsten Dinge die es gibt um Startup-Investing zu verstehen - also als Geschäft - sind (1) daß unterm Strich gesehen alle Ergebnisse auf einige wenige große Gewinner entfallen und (2) daß die besten Ideen erst einmal wie schlechte Ideen aussehen.
Die erste Regel wußte mein Verstand zwar, richtig begreifen konnte ich sie allerdings nicht bis sie uns selbst betraf. Der aggregierte Unternehmenswert aller Unternehmen welche wir bisher finanziert haben liegt bei plus/minus 10 Milliarden Dollar. Aber nur zwei Unternehmen, Dropbox und Airbnb, machen davon drei Viertel aus.
Im Startup-Umfeld sind die großen Gewinner dermaßen groß daß sie unsere Erwartungen über Abweichungen über den Haufen werfen. Ich weiß nicht ob diese Erwartungen angeboren oder erlernt sind, aber wir sind einfach nicht darauf vorbereitet daß es eine 1000-fache Abweichung bei den Renditen gibt die man beim Investieren in Startups findet.
Das führt zu jeder Menge seltsamer Konsequenzen. Beispielsweise gibt es bestenfalls - rein finanziell gesehen - ein Unternehmen pro YC-Durchlauf welches einen beträchtlichen Effekt auf unsere Rendite hat, und der Rest sind somit nur übliche Kosten. [1] Ich habe mich dieser Tatsache noch nicht angepasst, zum Teil weil es dermaßen gegen meine Intuition läuft, aber auch weil wir das nicht einfach nur wegen dem Geld machen; YC würde ein ziemlich einsamer Ort sein wenn wir pro Durchlauf nur ein Unternehmen hätten. Und dennoch ist es wahr.
Um in einem Bereich erfolgreich zu sein welcher unsere Intuitionen missachtet, muß man es schaffen diese abzuschalten wie ein Pilot der durch Wolken fliegt. [2] Man muß tun was der Intellekt einem richtigerweise vorgibt, auch wenn es sich falsch anfühlt.
Für uns ist es ein stetiger Kampf. Es ist schwierig uns selbst dazu zu bringen genügend Risiko einzugehen. Wenn man ein Startup interviewt und denkt "die werden wahrscheinlich erfolgreich sein" ist es schwierig *nicht* darin zu investieren. Und dennoch - in finanzieller Hinsicht - gibt es nur eine Art von Erfolg: Daß es zu den wirklich großen Gewinnern gehört, und wenn nicht spielt es keine Rolle ob man darin investiert, denn selbst wenn man investiert wird der Effekt auf die eigene Rendite unbedeutend sein. Am gleichen Interview-Tag wird man einige smarte 19-Jährige treffen die nicht mal sicher sind an was sie arbeiten wollen. Ihre Erfolgschancen scheinen gering. Aber wieder einmal spielen diese normalen Erfolgschancen keine Rolle, sondern nur die Möglichkeit wirklich sehr erfolgreich zu werden. Die Wahrscheinlichkeit dafür daß irgendeine Gruppe wirklich richtig erfolgreich wird ist mikroskopisch klein, aber die Erfolgswahrscheinlichkeit dieser 19-Jährigen dürfte höher sein als die einer auf Sicherheit bedachten Gruppe.
Die Wahrscheinlichkeit daß ein Startup richtig groß und erfolgreich wird ist nicht einfach nur ein konstanter Wahrscheinlichkeitsanteil davon daß es überhaupt erfolgreich ist. Wenn das so wäre könnte man jeden finanzieren der vorraussichtlich erfolgreich wird, und man würde diesen Anteil der "big hits" immer mit erwischen. Unglücklicherweise ist die Auswahl der potentieller Gewinner schwerer als das. Man muß den Elefanten vor sich ignorieren, die Wahrscheinlichkeit daß sie's schaffen, und sich im Gegensatz auf die seperate und nahezu unsichtbare Fragestellung konzentrieren ob sie wirklich richtig groß werden können.
Es wird noch schwieriger
Erschwerend kommt die Tatsache hinzu daß die besten Startup-Ideen erstmal wie schlechte Ideen aussehen. Ich habe darüber schon geschrieben: wenn eine gute Idee offensichtlich gut wäre, hätte es schon jemand anderes gemacht. Die erfolgreichsten Gründer neigen deshalb dazu an Ideen zu arbeiten welch nur wenige außer ihnen als gut erkennen. Was nicht weit vom Wahnsinn entfernt ist, bis man den Punkt erreicht an dem man Ergebnisse sichtbar sind.
Das erste Mal als Peter Thiel bei YC sprach hat er ein Mengendiagramm gezeichnet welches die Situation perfekt illustriert. Er zeichnete sich zwei überschneidende Kreise, einer davon mit "sieht nach einer schlechten Idee aus" und der andere mit "ist eine gute Idee" überschrieben. Die Schnittmenge ist der "sweet spot" für Startups.
Dieses Konzept ist einfach und trotzdem aufschlussreich. Es erinnert daran daß es eine Schnittmenge gibt - daß es also gute Ideen gibt die schlecht aussehen. Aber auch daran daß die riesige Menge an Ideen welche schlecht aussehen auch schlecht sind.
Die Tatsache daß die allerbesten Ideen erst einmal schlecht aussehen macht das Identifizieren der richtig großen Gewinner nochmals schwerer. Es bedeutet daß die Wahrscheinlichkeit für ein Startup richtig groß zu werden nicht nur lediglich kein konstanter Bruchteil der generellen Erfolgswahrscheinlichkeit ist, sondern daß die Startups der ersten Gruppe mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erstmal so aussehen als würden sie unverhältnismäßig unwahrscheinlich zur zweiten Gruppe gehören.
Die Geschichte tendiert dazu von großen Erfolgen umgeschrieben zu werden, so daß es im Nachhinein offensichtlich erscheint daß sie groß rauskommen werden. Aus diesem Grund ist eine meiner wertvollsten Erinnerungen daran wie lahm Facebook für mich geklungen hat als ich das erste Mal davon gehört habe. Eine Website für College Studenten um Zeit zu verschwenden? Das erschien wie die perfekte schlechte Idee: eine Website (1) für einen Nischenmarkt (2) ohne Geld (3) um etwas zu machen was keine Bedeutung hat.
Man hätte Microsoft und Apple genauso beschreiben können. [3]
Immer noch schwieriger
Warten Sie, es kommt noch schlimmer. Man muß nicht nur dieses schwierige Problem lösen, sondern das auch noch tun indem man völlig ohne Hinweis darauf auskommen muß ob man erfolgreich sein wird. Falls man einen großen Gewinner auswählt, wird man es zwei Jahre lang nicht einmal wissen.
In der Zwischenzeit führt gefährlicherweise das Einzige was man messen kann in die Irre. Das Einzige nämlich was wir exakt messen können ist wie gut sich die Startups eines Durchlaufs beim Geld-Einsammeln nach dem Demo-Day schlagen. Aber wir wissen daß dies das falsche Maß ist. Es gibt keine Korrelation zwischen der Prozentzahl der Startups die eine Finanzierung bekommen und dem Maß das finanziell Bedeutung hat, egal ob ein Startup-Durchlauf einen großen Gewinner beinhaltet oder nicht.
Bis auf ein Gegenteil. Das ist das Gruselige: Geldbeschaffung ist nicht lediglich ein nutzloses Maß, sondern auch positiverweise irreführend. Wir sind in einem Geschäft in welchem wir notwendigerweise nichts-versprechende Ausreißer nehmen müssen, und die weite Erfolgsskala bedeutet daß wir es uns leisten können unser Netz sehr weit zu spannen. Die großen Gewinner könnten 10.000-fach Rendite generieren. Das bedeutet daß wir für jeden großen Gewinner 1000 Unternehmen nehmen könnten die nichts einbringen und werden trotzdem um den Faktor 10 weiter kommen.
Falls wir jemals an den Punkt kommen an dem 100% der von uns finanzierten Startups nach dem Demo-Day Geld einsammeln, würde das ziemlich sicher bedeuten daß wir zu konservativ sind. [4]
Es braucht ein bewußtes Bemühen das nicht zu tun. Nach 15 Runden in denen wir Startups auf Investoren vorbereitet haben und dann zugesehen haben wie sie sich anstellen, kann ich jetzt auf eine Gruppe blicken welche wir mit der Sichtweise unserer Demo-Day-Investoren interviewt haben. Aber das ist der falsche Blickwinkel!
Wir können es uns leisten mindestens 10x so viel Risiko einzugehen wie die Demo-Day-Investoren. Und weil Risiko üblicherweise proportional belohnt wird kann man es sich leisten mehr Risiko einzugehen als man eigentlich sollte. Was würde es denn bedeuten 10x mehr Risiko einzugehen als die Demo-Day-Investoren? Wir würden bereit sein müssen 10x mehr Startups zu finanzieren als sie. Was wiederum bedeutet daß wir - selbst wenn wir großzügig uns selbst gegenüber sind und annehmen daß YC durchschnittlich den erwarteten Wert eines Startup verdreifachen kann - immer noch genügend Risiko übernehmen würden, selbst wenn nach dem Demo Day nur 30% der Startups signifikant Kapital einwerben könnten.
Ich weiß nicht welcher Teil von ihnen nach dem Demo-Day zur Zeit mehr einwirbt. Ich vermeide es absichtlich diese Zahl zu berechnen, denn wenn man anfängt etwas zu berechnen fängt man gleichzeitig an es zu optimieren, und ich weiß daß dies das falsche Optimierungs-Objekt ist. [5] Aber der Prozentsatz ist sicherlich über 30%. Und offen gesagt verkrampft sich mein Magen bei dem Gedanken an eine 30%-Erfolgsrate bei der Kapitaleinwerbung. Ein Demo-Day an dem nur 30% der Startups finanzierbar wäre gliche einem Schlachtfeld. Jeder würde zustimmen daß YC den Höhepunkt überschritten hat. Wir selbst würden uns so fühlen. Und dennoch würden wir alle falsch liegen.
Was auch immer geschieht, das Ganze wird nie mehr als ein Gedanken-Experiment bleiben. Wir könnten das niemals aushalten. Was ist jetzt mit dem Kontra-Intuitiven Teil? Ich kann darlegen was ich weiß das richtig wäre zu tun, und es weiterhin nicht tun. Ich kann jegliche Art plausibler Rechtfertigungen anstellen. Es würde die Marke YC verletzen (zumindest bei denen die nicht rechnen können) wenn wir in so viele risikobehaftete Startups investieren die in Flammen aufgehen. Es könnte den Wert des Alumni Netzwerkes ausdünnen. Vielleicht am meisten überzeugt mich daß es uns demoralisieren würde wenn wir die ganze Zeit bis zum Hals in Mißerfolg stecken. Aber ich weiß daß der wirkliche Grund warum wir so konservativ sind darin liegt daß wir nicht wirklich die Tatsache angenommen haben daß es die 1000-fache Schwankung bei der Rendite gibt.
Wahrscheinlich werden wir nie soweit sein daß wir uns selbst dazu bringen in diesem Business Risiken proportional zu den Ergebnissen einzugehen. Das Beste auf was wir hoffen können ist daß wir, wenn wir eine Gruppe interviewen und uns selbst bei dem Gedanken ertappen "sie scheinen gute Gründer zu sein, aber was werden Investoren über diese verrückte Idee denken", weiterhin in der Lage sind zu sagen "wen interessiert was Investoren denken?". Das ist was wir über Airbnb dachten, und wenn wir mehr Airbnbs finanzieren wollen müssen wir gut darin bleiben so zu denken.
Notizen
[1] Ich sage nicht daß die großen Gewinner alles bedeuten, nur daß sie in finanzieller Hinsicht für Investoren alles bedeuten. Weil wir das was wir bei YC tun nicht hauptsächlich aus finanziellen Gründen machen, bedeuten die großen Gewinner nicht alles für uns. Wir sind z.B. erfreut daß wir Reddit finanziert haben. Sogar wenn wir vergleichsweise wenig Geld damit gemacht haben hatte Reddit einen großen Effekt auf die Welt, und wir lernten dabei Steve Huffman und Alexis Ohanian kennen, welche beide gute Freunde geworden sind.
Wir drängen die Gründer auch nicht dazu zu versuchen einer der großen Gewinner zu werden wenn sie das nicht wollen. In unserem eigenen Startup (Viaweb, welches für 50 Mio. USD gekauft wurde) haben wir das auch nicht ausgereizt und wir würden uns ziemlich unecht fühlen wenn wir Gründer dazu bringen wollen würden was wir selbst nicht gemacht haben. Unsere Regel besagt daß das den Gründern überlassen bleibt. Einige wollen die Weltherrschaft, und andere möchten einfach diese ersten paar Millionen. Tatsache ist daß wir nicht schwitzen müssen ob Startups überhaupt einen Exit hinbekommen. Die größten Exits sind die Einzigen auf die es finanziell gesehen ankommt, und diese sind in dem Sinn garantiert daß wenn ein Unternehmen groß genug wird zwangsläufig auch ein Markt für seine Anteile entsteht. Weil die Ergebnisse keinen signifikanten Effekt auf die Rendite haben, sind wir entspannt wenn die Gründer früh für einen kleinen Betrag verkaufen, oder langsam wachsen und niemals verkaufen (z.B. zu einem so genannten "Lifestyle-Business" werden), oder auch das Unternehmen dicht machen wollen. Manchmal sind wir enttäuscht wenn sich ein Startup für das wir große Hoffnungen hatten nicht so gut entwickelt, aber diese Enttäuschung entspricht größtenteils dem Üblichen die jeder fühlt wenn sie passiert.
[2] Ohne visuelle Hilfe (z.B. dem Horizont) kann man nicht zwischen Gravitation und Beschleunigung unterscheiden. Das bedeutet daß man wenn man mit einem Flugzeug durch Wolken fliegt nicht die Flughöhe bestimmen kann. Man kann sich fühlen als würde man geradeaus und waagrecht fliegen obwohl man tatsächlich in einer Spirale nach unten gleitet. Die Lösung liegt darin zu ignorieren was einem der Körper sagt und nur auf die Instrumente zu achten. Aber es stellt sich heraus daß es sehr schwer ist das zu ignorieren was einem der Körper sagt. Jeder Pilot weiß um dieses Problem und dennoch ist das immer noch eine der größten Unfallursachen.
[3] Trotzdem folgen nicht alle der "big hits" diesem Muster. Der Grund warum Google wie eine schlechte Idee ausgesehen hat war der daß es bereits viele Suchmaschinen gab und es so aussah als wäre kein Platz für eine Weitere.
[4] Der Erfolg eines Startup beim Finanzierungsprozess ist eine Funktion aus zwei Parametern: Was sie verkaufen und wie gut sie dabei sind. Und während wir den Startups viel darüber beibringen können wie sie auf Investoren wirken, kann kein noch so überzeugender Pitch eine Idee verkaufen welche Investoren einfach nicht mögen. Ich machte mir wirklich Sorgen daß z.B. Airbnb nicht fähig sein würde nach dem Demo-Day Kapital einzuwerben. Ich konnte Fred Wilson nicht davon überzeugen zu investieren. Sie hätten auch gar kein Geld einsammeln können, aber der Zufall wollte es daß Greg Mcadoo, unser Kontakt bei Sequoia, einer der Handvoll VCs waren die das Ferienwohnungs-Vermiet-Business verstanden, und sehr viel der letzten zwei Jahre dafür verwendet haben es zu untersuchen.
[5] Ich habe das einmal für den letzten Durchlauf berechnet bevor ein Investoren-Konsortium im Sommer 2010 begann automatisch jedem Startup welches wir finanziert haben ein Investmentangebot zu machen. Zu dieser Zeit waren es 94% (33 von 35 Unternehmen die versuchten Geld einzuwerben waren erfolgreich, und eines hat es gar nicht versucht weil sie schon profitabel waren). Vermutlich ist diese Zahl aufgrund dieses Investment jetzt geringer; früher hieß es "Bekomme Geld nach dem Demo Day oder sterbe".
Danke an Sam Altman, Paul Buchheit, Patrick Collison, Jessica Livingston, Geoff Ralston, and Harj Taggar für das Durchlesen des Entwurfs dieses Posts.